Carolin Fromm

Internationales Medien-Stipendium 2015

Stipendiatin
Die Arbeit

Diese Anwälte will man nicht zum Feind haben

„Wir beantragen, dass Zwangsmaßnahmen angeordnet werden … vor allem gegen die Medien, die interessiert daran sind, alles im Zusammenhang mit dem Prozess zu veröffentlichen, konkret Carolin Fromm vom deutschen Sender ARD und Gustavo Sánchez, beide vom Portal Aristegui Noticias, sowie allen Mitgliedern dieser Medien …“

Ich lese diese Zeilen auf meinem Handy an einem Donnerstagabend im Café am Paseo de la Reforma im Zentrum von Mexiko-Stadt. Gemeinsam mit meinem Kollegen Gustavo und unserer Chefin Carmen Aristegui wollten wir den Stand unserer Recherche besprechen. Es geht um den Minister für den öffentlichen Dienst, Virgilio Andrade. Er ist ein alter Bekannter des Präsidenten Enrique Peña Nieto und hat diesen von einem Interessenkonflikt freigesprochen, den meine Kollegen von Aristegui Noticias Ende 2014 öffentlich gemacht hatten.

Unsere Quelle hatte uns bereits angekündigt, dass unsere Namen in den Gerichtspapieren aufgetaucht seien. Nun lesen wir schwarz auf weiß, dass der Minister die Richterin bittet, uns die Veröffentlichung zu verbieten – und allen Mitarbeitern unserer Medien. „Diese Anwälte will man nicht zum Feind haben“, kommentiert unsere Chefin. Sie kennt jede Leiche im Keller mexikanischer Politiker und auch diejenigen ihrer Helfer. Ich nicht. Manchmal hilft das, entspannt zu bleiben. Jetzt weiß ich allerdings nicht genau, wie ich mich fühle. Ich schwinge hin und her zwischen: „Wir haben offenbar den wunden Punkt getriggert“ und „Was wird er noch alles versuchen?“ Soll ich mich freuen? Muss ich Angst haben vor irgendwas oder irgendwem?

In Mexiko sind alleine in diesem Jahr bereits sieben Journalisten ermordet worden. Nicht in Mexiko-Stadt, hier fühlen die Kollegen sich physisch sicher, aber fast überall anders. Die meisten Angriffe auf Journalisten kommen von Staatsbediensteten, findet die Organisation Articulo 19 raus, während ich in Mexiko arbeite. Und erst einige Tagen zuvor marschierte eine Ministerin mit Anhang in die Redaktion der Zeitung „Milenio“, weil ihr ein kritischer Text missfiel. Der Chefredakteur hörte sie an, die Verfasser mussten sich rechtfertigen, der Artikel verschwand online und erschien dann mit einem komplett anderen Titel. Die Chefin der Recherchegruppe kündigte. Mehrmals sagen mir Kollegen, dass Deutschland ja Glück hätte mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der nur informieren wolle. Mexikos Medien seien abhängig vom Werbegeld der Ministerien; sie sind Unternehmen, die Geld verdienen und eben nicht primär informieren wollen. Hauptsache der Rubel rollt und dafür müssen die Politiker zufrieden sein, mit dem, was geschrieben wird.

Genau das haben meine Kollegen erst vor kurzem erfahren. Sie hatten aufgedeckt, dass der Präsident und seine Frau nach seiner Amtszeit in eine Luxus-Villa ziehen wollen, die einer Baufirma gehört. Diese verdient seit Jahren Hunderte Millionen mit Bauaufträgen dank Pena Nieto. Meine Kollegen recherchierten damals für ihren Arbeitgeber MVS Radio. Doch der Chef bat darum, die Geschichte nicht zu veröffentlichen. Firmeninteressen, Sie verstehen. Carmen Aristegui verstand nicht. Wenige Monate nach der Veröffentlichung wurden sie und einige Kollegen entlassen. Der Rest des Teams ging mit.

Präsident Pena Nieto stellte damals Virgilio Andrade als Minister ein, der diesen Interessenkonflikt mit der Luxus-Villa intern untersuchen sollte. Der Angeklagte wählte sich seinen Richter. Andrade sprach den Präsidenten – überraschend für wirklich niemanden – frei.

Anstatt jetzt auf unsere Interviewanfrage zu antworten, schickt Andrade sie als Beweis ans Gericht und will die Details unter Verschluss halten: Seinen unehelichen Sohn, die Vorwürfe, er habe seiner außerehelichen Partnerin mit Mord gedroht, sie zum Sex gezwungen, ihr einen Job im Ministerium verschafft und nutze seine Position, um ihre Klagen und Beschwerden zu negieren.

Zwei Monate lange durfte ich dank des Stipendiums der Sir Greene Stiftung bei Aristegui Noticias arbeiten. Einer kleinen Truppe engagierter Journalisten, die in einem improvisierten Büro mit kaputten Drehstühlen, zu wenig Computern und fast keinem Geld versucht, Glaubwürdigkeit und Standards hochzuhalten. Denen sechs Millionen Menschen in den sozialen Netzwerken folgen. Seitdem sie entlassen wurden, versuchen sie die Plattform Aristegui Noticias auszubauen, für die ich jetzt zwei Monate lang in Mexiko arbeite.

Nach dem ersten Schock über die Gerichtsunterlagen begleiten wir Carmen an diesem Abend zu Fuß vom Café zu CNN, wo sie jeden Abend eine Interview-Sendung produziert. Wir brauchen ewig für die wenigen Hundert Meter. Immer wieder erkennen Mexikaner sie, bedanken sich bei ihr und fordern sie auf, weiterzumachen. Nach ihrer Entlassung gingen sogar die demo-scheuen Mexikaner auf die Straße. Sie reichten Klagen ein, twitterten was das Zeug hielt, forderten andere Radiosender auf, Carmens Team einen Sendeplatz zu geben. Offenbar fehlt ihnen ihre Stimme.

Ich wusste, dass Aristegui beliebt ist in Mexiko. Wie wichtig sie für freie Informationen ist, wusste ich nicht, bis ich mit dem Team arbeiten durfte. Die Mexikaner haben das Gefühl, sie sei eine der ganz wenigen, denen sie vertrauen können. Die sich nicht kaufen lassen. Carmen weiß genau, was sie will. Sie fragt, was die anderen denken – und macht es dann, wie sie es geplant hatte. Diese Autorität braucht es hier wohl.

Den Artikel über Minister Andrade haben wir übrigens veröffentlicht. Die Richterin hat uns nichts verboten und er hat auch nicht versucht, uns auf anderem Wege mundtot zu machen. Tausende Kommentare, Teilungen und Likes haben uns gezeigt, dass die Informationen bei den Menschen angekommen sind. Jetzt verstehe ich auch, warum die Kollegen immer weitermachen, immer weiter graben, obwohl in Mexiko nie jemand auf ihre Vorwürfe reagiert oder gar zurücktritt. Sie machen weiter, weil sie einfach nur informieren wollen.

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