Felix Sebastian Rohrbeck

Internationales Medien-Stipendium 2010

Stipendiat
Die Arbeit

Die Carbon Bubble

Als ich Mitte Oktober 2013 in London eintreffe, ist es fast drei Jahre her, dass ich das Internationale Medien-Stipendium zugesprochen bekommen habe. Immer wieder ist dann irgendetwas dazwischengekommen: Ein Jobwechsel, der immer dichter werdende Terminkalender, meine vielen Pläne und Ideen, die ich am liebsten alle auf einmal in die Tat umsetzen würde.

Nun aber bin ich da. Im Finanzzentrum Europas. In der City of London drängen sich, auf gerade mal etwas mehr als einer Quadratmeile, Banken, Investmenthäuser, Hedgefonds. Keine Stadt der Welt wurde von der Finanzkrise so hart getroffen wie London – und kein anderes Börsenzentrum hat sich so schnell wieder von ihr erholt. Die Stimmung ist gut. Es wird wieder richtig Geld verdient. Doch braut sich im Hintergrund schon die nächste Krise zusammen?

Für insgesamt etwas mehr als vier Wochen bin ich London. Angedockt bin ich im Korrespondentenbüro der ZEIT. In einer Vorrecherche ist mir aufgefallen, dass London sich einerseits als grüne, umweltbewusste Stadt vermarktet, dass die Stadt auf der anderen Seite aber die Drehscheibe für große, klimaschädliche Projekt ist. Von der Themse aus, so lautet meine erste Arbeitshypothese, wird der Klimawandel finanziert. In London stelle ich dann fest: Das Thema ist eigentlich noch viel größer. Eine Blase schmutziger Energie bedroht die Weltwirtschaft.

Es ist eine interessante Erfahrung: Erst in London, im persönlichen Gespräch mit Aktivisten, Finanzanalysten und Bankern, begreife ich, was hinter der sogenannten Carbon Bubble steckt. In Deutschland hat das Thema noch niemand auf dem Schirm. In London aber gewinnt es gerade mächtig an Fahrt. Ich komme also zur richtigen Zeit.

Mein erster Termin führt mich zu James Leaton, einem akribischen Zahlenmenschen, der sein Handwerk bei den Wirtschaftsprüfern von PricewaterhouseCoopers gelernt hat. Heute arbeitet er für die Carbon Tracker Initiative, eine Londoner Nichtregierungsorganisation (NGO), gegründet von Finanzanalysten. Er überschüttet mich mit Zahlen: 900 Gigatonnen CO2 kann die Menschheit bis 2050 noch in die Atmosphäre blasen, wenn sie das Ziel einer Erderwärmung um maximal zwei Grad noch erreichen will. Rechnet man dagegen zusammen, wie viel CO2 in den nachgewiesenen Kohle-, Öl- und Gasreserven dieser Welt schlummert, was also freigesetzt würde, wenn Unter- nehmen und Staaten ihre fossilen Rohstoffe wie geplant verbrennen, kommt man auf 2.860 Gigatonnen – mehr als dreimal so viel wie das, was unser Klima maximal noch verträgt.

Erst allmählich wird mir klar, was das bedeutet: Entweder geht unser Klima den Bach runter. Oder aber viele Reserven können gar nicht verbrannt werden – und sind damit wertlos. Das würde bedeuten, dass viele Rohstoffkonzerne überbewertet sind. Einige könnten bis zu 60 Prozent ihres Marktwertes verlieren. So hat es zumindest die HSBC ausgerechnet, Englands größte Bank, zu der mich mein letzter von vielen Terminen in der City führt.

Der dunkle, 42 Stockwerke hohe Tower an der Canary Wharf wirkt einschüchternd. Als ich drinnen bin, fühle ich mich zum Glück nicht mehr ganz so klein. Das Gespräch ist auf eine eigentümliche Art aufschlussreich. Man erklärt mir in aller Ruhe die Gefahr der Carbon Bubble für die Mineralölkonzerne und die Weltwirtschaft. Wenn die Anleger merken, dass viele Reserven gar nicht verbrannt werden können, würden sie ihr Kapital wohl schlagartig abziehen – und die Blase platzen. Dazu, dass die HSBC nach Schätzungen von NGOs selbst rund 75 Milliarden Pfund in fossile Energien lenkt, will die Bank aber nichts sagen. Konkrete Ziele für eine Reduzierung gibt es offenbar ebenfalls nicht. Später, in meinem ZEIT-Artikel, schreibe ich dazu: „Das Verhalten der HSBC ist wohl typisch für diese Phase der Blase. Man hat die Gefahr auf einer analytischen Ebene durchaus erkannt, doch das eigene Handeln verändert kaum jemand. Noch wird ja jede Menge Geld verdient. Wer will da schon der Erste sein, der aussteigt?“

Das Stipendium hat mir die Möglichkeit gegeben, im Ausland ein komplexes Thema zu durchdringen, vor Ort zu recherchieren und in Deutschland eine Debatte darüber zu entfachen. Noch nie habe ich so viele Leserbriefe zu einem Artikel bekommen. Noch nie haben sich so viele Folgeaufträge aus einer Geschichte entwickelt. Darüber hinaus habe ich gespürt, wie produktiv und inspirierendes sein kann, im Ausland zu arbeiten. Und dass einem niemand den Kopf abreißt, wenn man als Nicht-Muttersprachler mal etwas länger nach dem passenden Wort suchen muss.

Ob und wann die Carbon Bubble platzt, weiß ich natürlich auch nicht. Doch ich möchte weiter über sie und andere Energiethemen berichten. Auch nach London möchte ich möglichst bald wieder reisen. Weil es hier für einen Wirt journalisten noch viele spannende Geschichten zu entdecken gibt. Und weil ein kühles Ale in einem überfüllten Pub voller Banker einfach herrlich schmeckt!

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