August 2018 im westafrikanischen Niger, mitten in der Regenzeit. Malaria-Hochsaison und überschwemmte Straßen in einem der ärmsten Länder der Welt.

Wir, Autorin Christina Fleischmann und Fotograf Martin Zinggl, befinden uns in einer Hütte aus Holz und Lehm im Dorf Lontia Beri, eine Autostunde von der Hauptstadt Niamey entfernt. Vor uns sitzt eine junge Frau, lächelt schüchtern in die Kamera, beantwortet flüsternd unsere Fragen. Ihr Name lautet Zeinabou, sie ist 16 Jahre alt und hat eine der tödlichsten Krankheiten der Welt überlebt: Noma.

Darum sind wir hier. Wir porträtieren Zeinabou, auf deren linker Wange dicke Narben verlaufen, deren Lippen und Mund aus Hautpartien ihres Oberschenkels neu geformt wurden. Chirurgen gaben ihr ein neues Gesicht, nachdem die Krankheit es zerstört hatte.

Ebenso wie Zeinabou treffen wir ein Dutzend weiterer Patienten im Alter zwischen fünf und fünfzehn Jahren, die zu den zehn Prozent zählen, die Noma überlebt haben. Wir könnten nicht hier sein ohne die finanzielle Unterstützung der Sir-Greene-Stiftung. Aber der Reihe nach.

Im April 2018 tragen wir unsere Idee vor der Jury der Stiftung in Hannover vor. Uns gegenüber sehen wir fragende, interessierte, staunende Gesichter. Noma, diese vergessene Krankheit, ist hier – wie fast überall – niemandem bekannt.

Noma befällt nur die Allerschwächsten, meist Säuglinge und Kleinkinder, mangelernährt und mit schlechtem Immunsystem. Ein Bakterien-Mix greift die Mundschleimhaut der Betroffenen an und frisst sich fortan durch Haut, Muskeln und Knochen. Zurück bleiben Löcher im Gesicht. Manchen Kindern raubt Noma die Nase, den Mund, manchen ein Auge, allen ein Stück Würde. Gestoppt wird der Erreger entweder durch Medikamente oder wenn der Körper sich gegen die Bakterien wehren kann. Bei neun von zehn Patienten passiert das nicht – sie sterben. Jedes Jahr erliegen 140.000 Menschen den Folgen von Noma: Blutvergiftung, Flüssigkeitsverlust, Organversagen. Die wenigen, die mit entstellten Gesichtern überleben, fristen häufig ein Dasein als Ausgestoßene.

Die Jury in Hannover ist überzeugt, wir gewinnen das Stipendium. Anfang August fliegen wir für zwei Wochen in den Niger. Wir begleiten ein internationales Ärzteteam, das mehrmals im Jahr dem einzigen auf diese Krankheit spezialisierten Chirurgen des Landes dabei assistiert, gravierende Fälle zu operieren. In der Noma-Klinik in der Hauptstadt Niamey liegen in den kommenden fünf Tagen einundzwanzig Patienten auf den OP-Tischen. Bei einigen Eingriffen sehen wir zu.

Die ersten Begegnungen mit den Patienten gehen uns nahe. Und sie werfen Fragen auf: Wie begegnen wir den Kindern, die, meist ohne ein Elternteil in der Klinik, Nähe und Aufmerksamkeit suchen? Deren offene Wunden im Gesicht, die den Geruch von verwesendem Fleisch absondern, kein leichter Anblick sind?

Nach kurzer Anlaufzeit rennen sie mit einem Lächeln auf uns zu, wollen mit uns spielen, wollen uns erzählen. Wir sitzen mit ihnen zusammen, ein Dolmetscher übersetzt für uns von Hausa und Zarma ins Englische. Die Offenheit der Kinder macht es uns leicht, uns schnell an den Anblick der Wunden zu gewöhnen, ja ihn irgendwann zu vergessen.

Und dennoch fragen wir uns, wie wir es schaffen, die Patienten weder als Opfer noch als Schauobjekte darzustellen, sondern als Menschen, die trotz ihrer Entstellungen Kraft und Mut haben, die Würde und Stolz in sich tragen? Vor allem fotografisch eine Herausforderung.

Wir entscheiden uns, neben herkömmlichen Reportagebildern, für Porträtfotos, die mit Licht und Schatten sowie viel Tiefenschärfe arbeiten. Dabei entstehen Porträts, die mal das Leid der Patienten, mal pure Lebensfreude zeigen. Vor allem aber sind es Bilder von Menschen, die uns ihre Geschichte anvertraut haben. Wir wollen diese, in Text und Bild, weitererzählen.

Doch bereits vor der Reise erhielten wir – trotz des Stipendiums, womit Redaktionen sich die Reisespesen ersparen könnten – viele Absagen von Medien, die sich dieser schwierigen Thematik nicht annehmen wollten. Auch nach der Rückkehr aus dem Niger kommen wir teils nicht einmal dazu, Text und/oder Fotos vorzulegen. Die Antwort könnte nicht klarer ausfallen: zu hartes Thema! Oder: zu weit weg von der Realität der deutschen Leser! Wir sind enttäuscht und überrascht, wie schnell und bestimmt Redaktionen die Geschichte ablehnen. Und perplex, dass die Realität für ihre Leser nicht zumutbar sein soll, denn so sieht sie, wenn auch weit entfernt im Niger und anderen Ländern Afrikas, nun einmal aus.

Umso mehr schätzen wir, dass die Sir-Greene-Stiftung unser Thema für ebenso relevant und erzählenswert befand wie wir. Und dass sie uns die Verwirklichung des Projekts ermöglicht hat. Wir bedanken uns herzlich für die Unterstützung.