Kennen Sie den Spruch „Never meet your heroes“? Zu groß sei die Chance, enttäuscht zu werden, heißt es.

Je näher die Abreise nach Schottland rückte, desto größer wurden die Bedenken, dass auch meine Erwartungen nicht erfüllt würden. Zwei Jahre lange habe ich dafür gekämpft, als freier Journalist nach Fair Isle zu fahren, der entlegensten bewohnten Insel Großbritanniens. Ein kleines Fleckchen Erde mitten zwischen Shetland und Orkney, bewohnt von 55 Einwohnern. Zahlreiche Redaktionen mochten die Idee der Geschichte, schreckten jedoch vor den Produktionskosten zurück. Umso dankbarer bin ich der Sir-Greene-Stiftung für den Sonderpreis, den wir – die Fotografin Xiomara Bender und ich – für unser Projekt bekommen haben. Denn das Thema ist schlicht außergewöhnlich.

Alles andere als normal verlief auch die Anreise. Von Berlin ging es via Amsterdam und Aberdeen nach Sumburgh auf die Shetland-Inseln. Dort quartierten wir uns für zwei Tage in der Hauptstadt Lerwick ein, ehe wir in einer kleinen Propellermaschine in 30 Minuten von Tingwall nach Fair Isle flogen. Bei Reisen von und nach Fair Isle sind diese Puffertage unbedingt empfehlenswert, hatten mir meine Kontakte schon im Vorfeld gesagt. Denn letztlich entscheidet das Wetter, ob die Flüge oder Fährfahrten wie geplant stattfinden können. Vor unserer Ankunft beispielsweise, saßen Bewohner und Touristen für drei Tage auf der Insel fest. Und als wir Fair Isle nach unserer einwöchigen Recherche wieder verließen, mussten wir Hals über Kopf aufbrechen: Unser Flug wurde kurzerhand zwei Stunden vorverlegt, da eine Schlechtwetterfront im Anmarsch war. Als ich die Nachricht über die geänderten Flugzeiten bekam, war Xiomara gerade am anderen Ende der Insel unterwegs, um zu fotografieren. Doch der Pilot wartet auf dem wohl kleinsten Flughafen Europas grundsätzlich auf keine Passagiere. Entweder man ist da – oder eben nicht. Also blieb Xiomara nichts anderes übrig, als im Dauerlauf und samt Equipment die halbe Insel zu überqueren.

   

   

       Klicken Sie auf ein Bild, um eine größere Ansicht zu sehen.

Auf Fair Isle selbst begegneten wir einer extrem aufgeschlossenen Gemeinschaft. Wir wurden eingeladen zu Kaffee und Kuchen, endlosen Gesprächen, Rundgängen, Darts- und Poolabenden, einem Privatkonzert eines begnadeten Gitarrenspielers und einem maritimen Festmahl. Steven Wilson, Crewmitglied auf der Fair-Isle-Fähre, der Good Shepherd IV, nahm uns mit, als er seine Hummerfallen vor der Küste kontrollierte. Alles was wir darin fanden, tischte er wie selbstverständlich für die Gäste aus Deutschland auf. Hummer und Krabben fangfrisch auf den Teller.

Doch nicht nur das Ambiente stimmte. Es waren vor allem die Leute, die diese Recherchereise zu einem besonderen journalistischen Projekt machten. Es gibt so viele unterschiedliche Charaktere, so viele Geschichten zu erzählen, so viele Perspektiven zu be- und soziale Strukturen zu durchleuchten. Fair Isle mag nur 55 Einwohner haben, doch dieser Mikrokosmos ist so komplex, wie man es anfangs nicht erwarten würde. Statt einer Woche hätte man auch gut drei Monate vor Ort verbringen können und hätte noch immer nicht alles gesehen, gefragt oder verstanden.

Fair Isle ist den meisten Leuten vor allem für seine weltberühmte Strickmode oder, unter Ornithologen, als wichtige Forschungsstation ein Begriff. Doch inzwischen sind die Bewohner selbst eine Art Touristenattraktion geworden. Eben weil sie so abgeschieden leben. Journalisten sind die Insulaner längst gewöhnt. Selbst aus Japan war schon mal ein Fernsehteam vor Ort. Titel der Sendereihe damals: „Warum, um Himmels Willen, leben Sie HIER?“.

Für Journalisten ist Fair Isle ein spannender Ort. Doch nur selten spiegeln die Geschichten, die entstehen, das Leben auf der Insel wirklich wider. Einerseits verständlich, denn hier passiert einfach zu viel. Andererseits sind wir Reporter verpflichtet, so akkurat wie möglich zu berichten. Die Insulaner aber sahen sich und ihren Alltag häufig nicht fair dargestellt. Entsprechend skeptisch traten sie auch uns von Anfang an entgegen: Ach, schon wieder Journalisten, hieß es da, und innerlich ging unser Gegenüber zwei Schritte zurück, ehe das Gespräch überhaupt richtig begonnen hatte. Und das, obwohl ich mit einigen Personen von der Insel schon fast zwei Jahre via Social Media in Kontakt gewesen war.

Letztlich ist es uns, denke ich, ganz gut gelungen, einen Zugang zum Mikrokosmos auf Fair Isle zu bekommen. Wohl auch – oder gerade weil – wir stets betonten, wir seien ohne konkrete Storyline für eine Geschichte auf die Insel gekommen. Die Geschichte, meinte ich, würde mich am Ende schon irgendwie finden.

Fotos: Xiomara Bender und Florian Sturm